Eine kurze Geschichte der Computerbraille
Wie lesen Menschen mit Sehbehinderungen ein barrierefreies PDF? Hilfreich dabei ist zum Beispiel eine Braillezeile. Neben Screenreadern gehört diese zu den beliebtesten „assistiven Technologien“. Wir erklären in diesem Artikel, was es damit auf sich hat. Außerdem zeigen wir auf, dass das Internet für viele Nichtsehende durch assistive Technologien keinesfalls Neuland ist.
Computerbraille und Braillezeile - Was ist damit gemeint?
Mit dem Wort „Braille“ oder „Brailleschrift“ können viele vielleicht noch etwas anfangen. Hält man danach Ausschau, begegnet die Blindenschrift einem oftmals im Alltag: kleine, leicht erhabene Punkte in unterschiedlicher Anordnung z.B. an einem Bankautomaten, auf einer Medikamentenpackung oder im Aufzug an den Knöpfen. Menschen mit Sehbehinderung ertasten mit ihren Fingern diese Punkte, die Buchstaben, Zahlen oder Symbole und Zeichen darstellen. Es gibt sechs Punkte, drei in der Höhe mal zwei Punkte in der Breite - und je nachdem welche Punkte hervortreten, ist das ein Code für einen bestimmten Buchstaben, eine bestimmte Zahl oder ein bestimmtes Zeichen.
Das Prinzip bei einer Computerbraille ist ähnlich. Um wirklich alle Zeichen darstellen zu können (auch Grafikzeichen wie „@“ oder „#“) wurde zusätzlich noch eine Zeile hinzugefügt. In der Computervariante gibt es deshalb 8 statt 6 Punkte.
Um sich als Person mit Sehbehinderung mithilfe von Braille in der digitalen Welt bewegen zu können, braucht es bestimmte Hardware, sogenannte Ausgabegeräte. Das kann hier z.B. eine „Braillezeile“ sein, die mechanisch oder per Bluetooth an ein Endgerät oder eine „normale“ Tastatur angedockt wird. Möglich ist auch eine spezielle „Brailletastatur“, mit der man nicht nur lesen sondern auch die Texteingabe direkt vornehmen kann.
Gemeinsam haben die meisten Geräte eine längliche Fläche mit kleinen Stiften, die je nach dargestellten Zeichen unterschiedlich ausgefahren und wieder eingefahren werden. Dadurch ist es möglich, jeweils einen Ausschnitt von einer Seite zu lesen, indem man mit den Fingerkuppen die Zeile von links nach rechts entlangfährt und die Veränderung ertastet. Hat man genügend Übung, funktioniert das sehr schnell und effektiv.
Was bedeutet das für mein barrierefreies Dokument?
Der Nachteil der Braillezeile ist, dass je nach Variante immer nur kleine Ausschnitte von einer Textzeile gelesen werden können. Deshalb ist Digitale Barrierefreiheit und PDF-Barrierefreiheit auch so wichtig. Wenn die Überschriftenstruktur stimmt, kann sich der/ die Computerbraille-Nutzende einen guten Überblick des Inhalts verschaffen und im Dokument hin- und herspringen. Außerdem kann nur in einem barrierefreien Dokument sichergestellt werden, dass der Inhalt in der logischen Reihenfolge wiedergegeben wird.
Kleiner historischer Überblick
„Digitale Barrierefreiheit“ klingt für viele wie ein neumodisches Buzzwort. Doch bei Computerbraille ist weder die Thematik noch die Technik wirklich neu. Das zeigt dieser kurze Überblick:
- 1824/25: Louis Braille entwickelt die Brailleschrift
- 1854: Die Brailleschrift wird in Frankreich offiziell anerkannt
- 1878/79: Auf einem Kongress wird entschieden, dass Braille zur offiziellen Schrift in weltweit allen Blindenschulen werden soll
- 1974: Klaus Peter Schönherr entwickelt das erste Braillemodul für den Computer
- 1979: In den USA kommt die VersaBraille auf den Markt, die erste amerikanische Brailletastatur
- 1986: Blindenorganisationen der Europäischen Gemeinschaft verständigen sich auf die „Eurobraille“ (die europäische Variante der Computerbraille)
- 2004: Das erste bluetoothfähige Braillemodul kommt auf den Markt.
Seither wurden die Braillegeräte immer weiter entwickelt. Heute lernen viele Kinder in Blindenschulen nicht nur die „normale“ Brailleschrift, sondern zusätzlich direkt auch die Computerbraille. Damit wachsen sowohl Kinder mit Sehbehinderung als auch nicht betroffene Kinder heute (fast!) selbstverständlich mit dem Internet auf.
Braillezeile und andere assistive Technologien
Eine Braillezeile ist immer mit einem Screenreader gekoppelt, den man sich wie einen Mittler zwischen dem Computerinhalt und dem Ausgabegerät vorstellen muss. Der oder die Betroffene liest meistens mit den Fingern mit, was die Software laut vorliest. Allerdings kann die Sprachausgabe-Funktion des Screenreaders auch ausgeschaltet werden. Manche Betroffene berichten von dem Gefühl, den ganzen Tag von dem Screenreader „vollgequasselt" zu werden. In diesen Fällen kann es manchmal ganz nützlich sein, etwas „nur“ für sich im Stillen zu lesen.
Auch Grammatikfehler oder Rechtschreibfehler lassen sich mit einer Braillezeile oftmals besser erkennen. Diese ist genauer und deutlicher als eine reine Sprachausgabe, die im Übrigen von blinden oder sehbehinderten Menschen meist so schnell eingestellt wird, dass es für jene, die die Art und Geschwindigkeit der Sprachausgabe nicht gewöhnt sind, komplett unverständlich ist.
Das Grundprinzip der Brailleschrift, der Computerbraille und des Screenreaders ist das gleiche: Bei allen Varianten wird das Geschriebene in einen anderen Reiz „übersetzt“. Die Sprachausgabe des Screenreaders gibt die Zeichen in Audiosignale wieder, die Braillezeile übersetzt das Ganze in Blindenschrift, also in haptische Reize.
Fazit
Für Betroffene sind assistive Technologien unausweichlich, vor allem für das digitale Arbeiten. Internetsurfen für Menschen mit Sehbehinderung? Das ist schon seit einigen Jahren Realität. Und heute wird es immer häufiger in Anspruch genommen.
Auch am Beispiel von Computerbraille und Braillezeile zeigt sich: Technik und Digitalisierung kann wie ein Motor für Inklusion sein. Soweit jedenfalls zur Theorie - denn in der Praxis liegt es trotzdem an Betreiber*innen von Webseiten und Software erst einmal sicherzustellen, dass ihre Angebote (und PDF-Dokumente) barrierefrei sind.