2 Symbole: Dokument und durchgestrichenes Auge. Davor die Überschrift: Wie blinde Menschen mit Dokumenten umgehen

Perspektivenwechsel: Tabellen – für blinde Menschen ein unüberwindbares Hindernis?

geschrieben von
Sandra Speitel
veröffentlicht

Der Mythos, dass Tabellen in Dokumenten unmöglich barrierefrei sein können, hält sich hartnäckig. Aber wie begegnen blinde Menschen Tabellen und was können wir besser machen, damit deren Zugang einfacher wird? 

Ask the expert

Im Rahmen unserer "Ask the expert"-Reihe haben wir Aleksander Pavkovic eingeladen und uns zeigen lassen, wie sich Tabellen für ihn darstellen und was es für ihn komplizierter macht, sie zu verstehen. Ganz so unüberwindbar, dass macht er klar, sind sie aber meist nicht.

Das komplette Video ist am Ende des Artikels.

Tabellen und Screenreader

Die meisten Screenreader (insbesondere JAWS und NVDA) lesen Tabellen in Richtung der Bewegungsrichtung der Nutzer:innen. Das ist für Praktiker:innen gut zu wissen, weil die Reihenfolge der Zuweisung somit keine Rolle spielt. Wer eine Tabelle erstellt, muss nicht darauf achten, ob er zunächst Spalten- oder Zeilenköpfe zuordnet. Eine weitere Information, die anders als bei Webseiten oft nicht an die Screenreader-Programme weitergegeben wird, sind Tabellenzusammenfassungen. Sie sind die Alternativtexte der Tabellen und können zusätzliche Metadaten wie den Titel und eine kurze Beschreibung mitgeben. Prinzipiell ein guter Gedanke und in vielen Fällen mühevoll umgesetzt. Da diese Informationen aber oft nicht von den Programmen angezeigt werden, empfiehlt Aleksander Pavkovic die Zeit stattdessen in eine saubere Formatierung der Tabelle zu investieren. Wenn diese für ihn zugänglich aufbereitet ist, kann er die Inhalte auch ohne zusätzliche Zusammenfassung nachvollziehen.

Auch bei komplexen Tabellen werden von Screenreader-Programmen teilweise nicht alle verfügbaren Informationen über und innerhalb einer Tabelle wiedergegeben. Hinter dem Aufbau einer barrierefreien Tabelle steht die Zuordnung - jede Überschriftenzelle hat eine ID-Nummer und jede Datenzelle ist mit einer Überschriftenzelle verknüpft, die ihren Inhalt spezifiziert. In komplexen Tabellen können auch mehrere IDs mit einer Datenzelle verknüpft sein. Leider lesen die Screenreader nur die Überschriftenzelle der nächsten Ebene vor und nicht alle mit der Datenzelle in Beziehung stehenden Zellen, obwohl die Informationen theoretisch richtig hinterlegt sind. Darum ist es umso wichtiger, dass sich Aleksander als Nutzer zunächst einen Überblick über die Tabelle verschaffen kann. Damit kann er im besten Fall alle Informationen aus den Überschriftenzellen mit den jeweiligen Datenzellen verbinden. 
Am Rande: Eine Tabelle dafür im Kopf zu visualisieren hilft ihm und vielen anderen dabei die Informationen zu verarbeiten. Vor allem aber Geburtsblinde können unter Umständen Probleme damit haben, sich das Konzept "Tabelle" vorzustellen, da es ein sehr visuelles Tool ist.

Generell gilt für das Vorlesen von Tabellen, dass zusätzlich einiges manuell im Screenreader-Programm von den Nutzer:innen eingestellt werden kann. Aleksander Pavkovic hat sich beispielsweise Tastenkombinationen festgelegt, mit denen er durch die Dokumente und die Tabellen navigiert. Wenn er stattdessen mit Tab die Zellen anwählen würde, wären diese sofort markiert und erfahrungsgemäß schnell aus Versehen gelöscht. Screenreader-Nutzer:innen können außerdem selbst einstellen, wie viele Informationen wiedergegeben werden sollen. 
Wenn Informationen fehlen, kann das also eventuell nicht nur an einer unzureichenden Aufbereitung der Tabelle liegen, sondern eben auch an den Screenreadern oder dem Programm, mit dem das Dokument geöffnet wurde. 

Barrierefreie Tabellen und Antworten auf weitere Fragen

Um dem Nachvollziehen von Tabellen nicht unnötige Steine in den Weg zu legen, teilt Aleksander Pavkovic noch einige weitere Tipps. Wenn es beispielsweise um große Tabellen geht, die sich über mehrere Seiten erstrecken, wird für jede Seite oft eine neue Tabelle erstellt. Was für das Drucklayout später vielleicht von Vorteil sein mag, birgt für Screenreader-Nutzer:innen Schwierigkeiten. Sie erhalten nur zerhackte Tabelleninformationen und müssen sich die Inhalte von fünf Tabellen einzeln erschließen. Besser wäre es, es bei einer formatierten Tabelle zu belassen und nur einzustellen, dass sich die Überschriftenzellen pro Seite im Druck wiederholen.

Steht man vor der Frage, ob Inhalte in Listen oder in Überschriften mit Absätzen dargestellt werden sollen, kann er klarstellen, dass sich die Navigation und die Tastaturbefehle kaum unterscheiden. Wenn viel Beschreibung zu jedem Punkt erfolgt, würde er zu Überschriften tendieren. Bei kurzen Abschnitten empfiehlt Aleksander eher Listen. 
Gut zu wissen: Paragraphen in Gesetzestexten beispielsweise sind Listen innerhalb einer Überschriftenstruktur.

Oft hat Aleksander Pavkovic die Erfahrung gemacht, dass Barrierefreiheit als etwas verstanden wird, das zusätzlich gemacht werden muss und meist kompliziert ist. Wenn ein Logo beispielsweise vor dem Titel eines Dokumentes abgedruckt ist, dann wollen viele in die Lesereihenfolge eingreifen und den Titel dennoch als erstes Element darstellen. Aber dass im Rahmen der Barrierefreiheit auf diese Weise um die Ecke gedacht werden muss, ist fälschlich verbreitetes Wissen. Auch die Screenreader-Nutzer:innen sollten das Logo und den Titel in der Reihenfolge erhalten, wie sie tatsächlich vorhanden sind. 

Das Barrierefreiheit nicht immer Zusatzarbeit bedeuten muss, spiegelt sich auch im Grundsatz „Design for all“ wieder, den Aleksander Pavkovic nur bekräftigen kann. Ein Design, das gleichermaßen für beeinträchtige sowie nicht beeinträchtigte Adressat:innen funktioniert, sollte das Ziel sein. In diesem Sinne gilt für Tabellen, eine Tabelle für alle Nutzer:innen zu erstellen. Derselbe Inhalt sollte nicht über Sonderwege noch einmal für Personen mit Sehbehinderung verpackt werden. Auch komplexe Tabellen sind nachvollziehbar - sofern bei der Erstellung auf digitale Barrierefreiheit geachtet wird. 

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